Unsere letzten Eintraege und die Diashow konnten euch, liebe Leserinnen und Leser, ja schon die ersten Eindruecke unserer ersten grossen Reise vermitteln.
Mit dem Flugzeug sind wir am Samstag Morgen von Pune nach
Kolkata. Schwer uebermuedet und von den unvorstellbar unbequemen Sitzen strapaziert sind wir in Kolkata, der zweitgroessten Stadt Indiens (ca. 14 Mio. Einwohner) gelandet.
Unsere Gastgeber und Begleiter waehrend der ersten eineinhalb Kolkata-Tage waren "Freunde" von Megha. Wie eng diese "friendship" wirklich ist haben wir uns dann gefragt, als die Freunde doch nicht zur Hochzeit erschienen, weil sie arbeiten mussten. Naja, Freund ist ein Wort, das in Indien in der Tat ein sehr weitgefasster Begriff ist.
Ein bisschen anstrengend war es, dass wir auf unser Sightseeing-Programm und dessen zeitliche Planung kaum Einfluss hatten. Etwas mehr Unabhaengigkeit waere ganz schoen gewesen. Dafuer durften die wir indische Gastfreundschaft der Schwester von Meghas Freund geniessen und uns schon Mal ein kleines bisschen in Kolkata verlieben.
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Das Victoria Memorial |
Kolkata wuurde erst mit der Ankunft der Briten zur Stadt und das sieht man. Die Prachtbauten und gepflegten Parks lassen Londonflair aufkommen, waehrend die verfalleenen Kolonialbauten der Stadt ein besonderes Charme verleihen.
Auf den Strassen wird der Chai hier aus huebschen kleinen Tontassen verkauft, die wir fleissig gesammelt und mitgenommen haben. Bedrueckend war das Bild unseres achtjaehrigen Chaiverkaeufers hier.
Eine einmalige Stimmung um die Howrah-Bridge herum: Der Blumenmarkt, Blumentraeger, die mit grossen Koerben auf dem Kopf ueber die Bruecke eilen, und Menschen, die ihr heiliges Bad nehmen als Hintergrundbild. Falls ihr je nach Kolkata geht duerft ihr dieses Bild nicht verpassen.
Nach eineinhalb Tagen, die uns ein ersten Eindruck von dieser beeindruckenden Stadt vermittelten, fuhren wir mit dem Zug nach
Giridih. Die Fahrt begann ganz indisch mit vier Stunden Verspaetung und dauerte ca. 11 Stunden.
Wir sind in der indischen Sleeper Class gereist. Manche von euch kennen sie vielleicht auch als die "Holzklasse", wobei unsere Klappliegen (wie man sehen kann) aus theoretisch abwaschbaren Polstern waren. Nach den zahlreichen Warnungen vor dieser Art zu Reisen waren wir positiv ueberrascht: Um uns herum waren nur Familien und ein Collegestudent und wir konnten sogar einige Stunden richtig schlafen.
Am Morgen wurden wir dann in Giridih am Bahnhof abgeholt. Giridih ist ein kleines Staedtchen in Jharkand und liegt mitten auf dem Land. Von Meghas Schwester und ihrem Vater wurden wir ins Haus der Brautfamilie gefahren und trafen dort auf eine, von den vielen Teilzeremonien ueberstrapazierte Megha. Sie erklaerte uns, dass sie ab heute das Haus nicht mehr verlassen duerfe und erzaehlte von diversen anderen Zeremonien, denen sie sich bis zum grossen Tag noch unterziehen muesse - Schon waren wir mitten drin im Abenteuer:
"Indische Hochzeit - oder eine Familie geht auf dem Zahnfleisch" |
Megha |
Das Haus der Brautfamilie und deren Onkel war schon gut belegt mit der engeren Verwandschaft, die den vielen Zeremonien im vorraus beiwohnen und daran teilnehmen. Diese verschiedenen Zeremonien beginnen bereits mindestens fuenf Tage vor dem grossen Tag und sind mindestens so schwer durchschaubar wie die Verwandtschaftsbeziehungen dieser indischen Grossfamilie. Die Kinder stellten sich alle gegenseitig als ihre "sisters" und "brothers" und alle Erwachsenen als ihre "uncles" und "aunties" vor, was das Ganze nicht gerade leichter durchschaubar machte :-).
Ja, jetzt waren wir wirklich mitten drin, in der indischen Grossfamilie und in einer Folge vieler Teilzeremonien, von denen uns vorher nie jemand genau sagen konnte wann und wo diese stattfinden werden. Kurz vorher hiess es dann aber "come, come, chelo, chelo" und man eilte los um zu sehen und zu staunen....
... wie eine Braut umringt von Frauen mit Tumeric eingesalbt wird, waehrend die Frauen dazu singen.
... wie abends mit Trommel- und Trompetenmusik durchs Dorf prozessiert wird um am Brunnen das Wasser zu "schneiden"
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Die Behälter in denen das "geschnittene" Wasser aufgefangen | werden soll |
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... wie das Wasser aus dem Dorfbrunnen gezogen und über ein Messer in die Behälter gegossen wird.
... wie sich die jungen Gäste zur Musik durch die Gegend hüpfen und sich die älteren Damen erfreuen wenn ein oder zwei weiße Mädchen dazustoßen.
Zwischendurch verweilten wir auf der Dachterasse, dem sog. "Rooftop", genossen die Aussicht und beobachteten wie die Köche in ihren Töpfen riesige Mengen Reis, Linsen&Co zubereiten.
So zum Beispiel dieses Frühstück hier: Puris (in der Pfanne herausgebackene Fladenbrote) mit Linsen und Bohnen.
Die Ruhe auf dem Rooftop konnten wir aber nur so lange genießen bis wieder der Ruf von unten schallte: "Jana, Caro chelo, chelo" und wieder wurde geschaut, fotografiert und gestaunt...
... wie die Brauteltern Lichter anzünden, Pfähle mit Stoff umwickeln und Geschenke überreichen.
... wie sich die Frauen mit Chai wach und warm halten.
... wie die Kinder der Braut ein Löckchen schenken.
... während die Männer eher semibeteiligt daneben sitzen.
... wie die Hände der Braut am Vorabend der finalen Zeremonie von zwei professionellen Mehndi-Malerinnen mit Henna verziert werden.
... wie das Rooftop jeden Tag ein bisschen mehr und bunter dekoriert wird.
... wie die Braut am Morgen des großen Tages von einer Schar Frauen umringt zur nächsten Kreuzung im Dorf begleitet wird...
... um dort mit den frisch verzierten Händen zu waschen, von Frauen überstiegen zu werden und ihr Haar mit deren Haar zu ver- und entknoten.
Ja, liebe Leserinnen und Leser, ihr seht, die indische Art zu heiraten ist ein wahrlicher Zeremonienmarathon. Oft konnten uns nichteinmal die Beteiligten erklären was der tiefere Sinn hinter den Zeremoniehandlungen ist. Zum Glück war bei den wichtigeren Ereignissen immer ein Zeremoniemeister dabei, der das Geschehen begleitet und geleitet hat.
Wie auch beim längsten Dauerlauf die Zielgerade irgendwann in Sichtweite kommt rückte auch der Abend - die große, finale Zeremonie, näher.
Neben dem Haus war bereits ein großes Zelt aufgebaut, das von vier Notstromaggregaten mit Strom versorgt werden sollte. Wir wollen uns garnicht vorstellen wie teuer diese Hochzeit für die Brautfamilie gewesen sein muss. Es hat uns auch sehr überrascht, dass die Familie des Bräutigam und der Bräutigam selbst an den Vorbereitungen so ganz unbeteiligt waren und wirklich erst zur Zeremonie am Abend erschienen. Anscheinend ist es typisch für arrangierte Ehen, dass die Hochzeit die Familie der Braut einiges an Zeit, Organisationsstress, Nerven und Geld abverlangt (sogar die Gäste bekommen alle Geschenke überreicht).
Am frühen Abend war es dann so weit: Megha wurde in ihren beeindruckenden Sari gehüllt und mit Goldschmuck behängt um ihrem Zukünftigem so entgegenzutreten.
Auch wir feierten mit Hilfe von Meghas Tanten und ihrer Schwester unser großes Saridebüt. Alle Gäste waren ganz entzückt von den zwei Weißen im Sari und wollten ein Foto mit uns machen. Also eins weiß ich jetzt ganz gewiss, berühmt werden will ich nicht. Es ist viel zu anstrengend ständig fotografiert zu werden und ein freundliches Gesicht zu machen. Aber man kann schon sagen, dass wir in Giridih während dieser Tage zwei kleine Berühmtheiten waren. Spätestens nachdem wir mit Foto in zwei Zeitungen erschienen und vom Fernsehen interviewt worden waren, kannte uns wirklich jeder. Das war ein ganz schön seltsames Gefühl, welches Aufsehen dort um zwei normale Jugendliche aus Deutschland erhoben wurde.
In ihrem Brautgewand wartete Megha dann im Haus auf ihren Bräutigam. Während dieser Zeit strömten die Gäste ins Haus, übergaben ihr Blumen und Geschenke und strömten dann ins große Festzelt mit Buffet weiter.
Megha bemühte sich dabei immer, wie es die Tradition vorschreibt, den Blick gesenkt zu lassen und nicht viel zu sprechen oder gar zu lachen. Das muss ganz schön anstrengend gewesen sein, vor allem weil sich der Bräutigam um fast zwei Stunden verspätete.
Mit Feuerwerk und Musik wurde er dann empfangen und ins Festzelt begleitet. Als Megha dann endlich zu ihrem zukünftigen Ehemann geführt wurde waren viele der Gäste aufgrund der zeitlichen Verzögerung schon gar nicht mehr da.
Für uns war es ein seltsames Gefühl Megha neben einem Mann platznehmen zu sehen, den sie nur drei Stunden lang kennt und mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wird.
Zu später Stunde (um 24 Uhr) konnte auf dem Rooftop endlich mit der letzten, großen Zeremonie begonnen werden.
Die Familie des Bräutigam war an der Zeremonie nicht beteiligt, was ein sehr schräges Bild abgab. Ich glaube aber, dass die folgenden sechs Stunden bis zur vollständigen Eheschließung für keinen der Teilnehmer oder Gäste ein Genuss war. Auch uns konnte um halb sechs Uhr morgens kein Chai mehr warm und kein Nescafé mehr wachhalten.
Am Morgen wurde Megha dann verabschiedet und fuhr mit ihrem frischgebackenen Ehemann und dessen Familie in deren Heimat. Ein Abschiedsszenario, das wirklich niemand kaltließ.
Einen letzten Tag genossen wir die indische Großfamilie und unsere Gastgeberin, die wir liebevoll nur unsere "Omi" genannt haben. Sie ist die Schwester von Meghas Großvater und wir haben uns wunderbar mit ihr verstanden und unterhalten, ohne einander wirklich verstehen zu können. Ein Highlight war definitiv ein abendlicher Roti-Back-Koch&Koste-Kurs bevor wir uns auf die Heimreise machten.
Vier Tage indische Hochzeit gingen zu Ende. Ob uns die traditionell-indische Hochzeit gefällt? Eine Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist. Ein unvergessliches Erlebnis war es auf jeden Fall. Es war toll diese indische Großfamilie und deren Gastfreundschaft zu erleben. Die Farbenpracht der Kleidung, Dekoration und zeremoniellen Gegenstände gaben ein wahnsinnig schönes Bild ab. Die Zeremonienvielfalt und die alte Tradition waren beeindruckend. Aber manchmal schien es ein bisschen zu viel des Guten, als dass bei irgendwem noch feierliche Stimmung aufkommen konnte. Wenn wir mal heiraten, dann auf jeden Fall nicht indisch, das wäre doch etwas zu anstrengend :-)
Zurück in
Kolkata haben wir uns dann ein zentral gelegenes Hotel für Rucksackreisende genommen um die Stadt selbstständig erkunden zu können. Dank einer Teilnehmerliste für unser Zwischenseminar haben wir erfahren, dass in Kolkata ein anderer, deutscher Freiwilliger ist. So haben wir Kontakt zu Stefan aufgenommen und ihn in Kolkata getroffen. Das war wirklich super lustig und auch genial, weil er uns ein bisschen herumführen konnte. Vielleicht wären wir ohne ihn nie ins Mutter Theresa Haus gegangen, das definitiv einen Besuch wert ist.
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St. Pauls Cathedral |
Kolkata ist ein einziges Straßenstandparadies. Das Leben in dieser Stadt ist auf der Straße und das merkt man richtig.
Die wohl schrecklichste Rikschaart gibt es anscheinend nur in Kolkata. Ein Bild das uns doch ganz schön abgeschreckt hat, dass sich manche Leute von einem Mensch ziehen lassen.
Ein beeindruckendes Bild boten die alten Markthallen aus der Kolonial-Zeit, die von aussen recht gut erhalten aussehen und mit einem Turm mit der "Big-Ben-Melodie" ausgestattet sind. Von innen bietet sich bei einem Blick nach oben allerdings ein grauenvolles Szenario: ganz schön indisch!
In den Hallen wird so ziehmlich alles verkauft, was man sich vorstellen kann. Die Fleischabteilung ist besonders appetitlich. Ansonsten ist der Markt...
...in eine Obst- und Gemüseabteilung...
....eine riesige Gewürzzeile...

und natürlich die obligatorische Eierabteilung aufgeteilt. Weiterhin kann man sich dort gefälschte Markenkleidung, Schmuck, Stoffe, Kunsthandwerkliches, Blumen und Haushaltsgegenstände jeglicher Art besorgen.
Was zu dieser Jahreszeit nicht fehlen darf - wir waren durchaus überrascht - ist der Bereich mit dem Weihnachtsgeschlunze (Weihnachtsschmuck). Kaum zu übertreffen in seiner Kitschigkeit!
Wer in dieser traditionellen "Shoppingmall" einkaufen gehen will, sollte sich allerdings darauf gefasst machen, dass bis drei Uhr nachmittags so gut wie gar nix los ist und die meisten Stände noch geschlossen haben. Die Rush-Hour beginnt ab 20 Uhr. Dann wirds kuschelig in den Markthallen von Kolkata.
Unsere letzte Station in dieser aufregenden Stadt war ein Besuch mit Picknick im Maidan, einer der größten innerstädtischen Parkanlagen der Welt. Hier wird fleißig Cricket gespielt und faul herumgelegen. Ein Anblick, den wir so bisher noch in Indien hatten. In Pune gibt es nämlich keine wirklichen Parkanlagen, sondern nur kleine Grünflächen, die meistens nicht oder nur schwer zugänglich sind. Kolkata hat uns daher mit seinen vielen Parks sehr überrascht. Wir kommen gerne wieder, wenn wir dürfen!