Freitag, 28. Januar 2011

Darling, I'm poor


Armut in Indien, ein allgegenwärtiges Thema.
Für uns ist es schon lange normal, dass wir auf der Straße, im Café, Restaurant oder in der Rikscha am Ärmel gezupft werden und „kana, kana“ (Essen, Essen) nach Geld gefragt werden.
Wir haben uns an die Allgegenwart der Armut gewöhnt, doch heute durften wir ein „Armutserlebnis“ der ganz anderen Art erfahren.

Um diese Geschichte erzählen zu können muss ich allerdings erst einmal ein bisschen weiter ausholen.
Das Zwischenseminar in Bangalore ist nicht spurlos an uns vorbeigezogen. Wir haben uns dort auch intensiv über die Arbeit und Probleme in den verschiedenen Projekten ausgetauscht. 
Ein Austausch, der für uns irgendwie sehr deprimierend und ernüchternd war. Ja, unsere „Arbeit“ im Projekt war nicht diese wie wir, und auch unsere Betreuerin, es uns ursprünglich vorgestellt haben. Anstatt Patienten zu betreuen verbrachten wir viel Zeit mit Übersetzungsarbeit, mit Internetrecherche und dem Ordnen von Patientenakten. Zahlreiche Versuche mit den Patienten in Kontakt zu treten scheiterten immer wieder.
Warum?
Sprachliche Barrieren, mangelnde Unterstützung und Desinteresse haben es schwierig gemacht, unsere Idee eines Wartezeit-Spielraums zu verwirklichen. Der Hauptgrund, dass wir diesem Ziel kaum näher kamen, war und ist wohl schlichtweg, dass das CLSHM als Einsatzstelle für Freiwillige nicht sonderlich gut geeignet ist. Das CLSHM ist mit einer großen Arztpraxis vergleichbar, die Patienten werden also alle ambulant behandelt. So ist es nicht möglich eine Bindung zu den Patienten aufzubauen oder gar kontinuierlich mit ihnen zu arbeiten. Die Behinderungen der meisten Kinder sind ohnehin so schwer, dass sie ihre Außenwelt kaum wahrnehmen oder an dem Geschehen um sie herum aktiv teilnehmen können.
Es hat lange gedauert diese Tatsache so zu erkennen und sich einzugestehen,  dass wir in Sachen Projekt so nicht weitermachen können. Sich nutzlos und fehlplatziert zu fühlen ist wirklich kein schönes Gefühl.
Unsere Betreuerin Corinna war zum Glück ebenfalls der Meinung, dass sich für uns in punkto Arbeit  etwas gewaltig ändern muss, Nach diversen, teilweise sehr nervenaufreibenden Gesprächen mit Prasad, Dr. Oswal und Corinna einigten wir uns, dass wir am CLSHM in Zukunft an zwei Tagen in der Woche arbeiten und uns dort um die Patienten aus dem Ausland kümmern, Kontakt zu anderen NGOs aufnehmen und weiterhin die Patientenakten ordnen und verwalten.  An den drei anderen Tagen werden wir in eine andere Einsatzstelle wechseln.

Im Moment sind wir also auf der Suche nach einem neuen „Teilprojekt“. Ganz schön interessant, was man in den unterschiedlichen Schulen und Vorschulen so zu sehen und vor allem hören bekommt……
Heute waren wir mit unseren Fahrrädern unterwegs. Eigentlich waren wir auf der Suche nach staatlichen Schulen, da diese im Allgemeinen sehr wenig Personal und Gelder zur Verfügung haben und wirklich Unterstützung brauchen, doch es hat uns trotzdem in die St. Matthews School verschlagen. 

Nachdem unser Interesse an „volunteering“ für ganz wunderbar befunden wurde, fanden wir uns kurze Zeit später   im mit Kuscheltieren, einem Aquarium, Fotos und anderem Nippes überladenen Büro der Direktorin wieder.
Sie war ganz entzückt, dass wir Zwei aus Deutschland kommen, da ihr Mann zwei Jahre in Bochum gearbeitet hat. Wir würden in einem so wunderbar schönen und sauberen Land leben - das hört man doch gerne. Nicht ganz nachvollziehen können wir aber, dass sie England als ganz furchtbar schmutzig empfunden hat und bei ihrer nächsten Europareise ausschließlich Deutschland besuchen will. Woher diese Abneigung gegen die ehemaligen Kolonialherrscher wohl rührt?! 
Die Frage „warum“ ist in dem Fall, wie so oft in diesem verrückten Land, nicht so eindeutig zu beantworten.
Noch selten waren wir in so kurzer Zeit einer solch hohen Informationsdichte ausgesetzt. Wir erfuhren die gesamte Lebensgeschichte und –philosophie der Direktorin, die ihre Religion lebt, wie sie immer wieder betonte. Sie verabscheue die Habgier und Menschen die Gutes nur des Geldes wegen tun. Etwas verwirrt, da es sich bei der St. Matthews School um eine Privatschule handelt, fragte Caro ob denn auch arme Kinder die Schule besuchen würden.
Mit großen Augen, die mit Goldringen geschmückten Finger kreuzend antwortete Frau Direktor: 

„Darling, I’m poor“.



Vollen Ernstes erklärte sie uns, dass es darauf ankäme was man unter arm verstehe. Sie selbst, sei ja nur eine arme Lehrerin, ärmer noch als die armen Schüler.
Ein ziemlich groteskes Bild, welches sich uns in dem Privatschulbüro heute bot. 

Wenig später fuhren wir auf dem Weg zu den Regierungsschulen an einigen Slumsiedlungen vorbei. Das ist Indien, da liegen erlebte Armut und ein Armutserlebnis räumlich und zeitlich ganz nah beieinander.

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